Unfallursache Übermüdung: Neues Mercedes-System warnt den Autofahrer
Bei Mercedes-Benz beginnt die letzte Erprobungsphase eines neuartigen Assistenzsystems, das Autofahrer rechtzeitig vor Übermüdung und dem gefürchteten Sekundenschlaf warnen soll.
Das System analysiert das Fahrerverhalten mittels verschiedener Sensoren und erkennt, wenn sich der persönliche Fahrstil müdigkeitsbedingt ändert. In diesem Fall wird der Fahrer daran erinnert, Pause zu machen. Nach Abschluss aller Tests wird das System im Jahre 2009 bei Mercedes-Benz in Serie gehen.
Übermüdung gilt in der amtlichen Statistik als Ursache von rund ein Prozent aller schweren Verkehrsunfälle. Doch Fachleute gehen davon aus, dass die Dunkelziffer bei diesem Unfalltyp weitaus größer ist, da sich Müdigkeit bei der Unfallrekonstruktion oft nicht mehr feststellen oder nachweisen lässt. Laut aktueller europäischer Studien sind 24 bis 33 Prozent aller tödlichen Verkehrsunfälle auf übermüdete Autofahrer zurückzuführen. Demzufolge werden durch Übermüdung wahrscheinlich mehr schwere Verkehrsunfälle verursacht als durch Alkohol.
Neben Schlafmangel in der Nacht zählt vor allem die Monotonie beim Autofahren als eine der häufigsten Ursachen für den gefährlichen Sekundenschlaf am Lenkrad. Zwei Drittel der Müdigkeitsunfälle passieren in der Dunkelheit, jeder zweite bei geringer Verkehrsdichte. Nach Ansicht von Wissenschaftlern steigt das Unfallrisiko vor allem bei Langstreckenfahrten unter gleichbleibenden Bedingungen, weil dadurch die Aufmerksamkeit des Fahrers nachlässt und die Monotonie die Gefahr des Einschlafens zusätzlich steigert.
Untersuchungen der Mercedes-Ingenieure mit bisher über 420 Autofahrerinnen und Autofahrern zeigen, dass Müdigkeit von vielen Menschen nicht richtig und vor allem nicht rechtzeitig genug wahrgenommen wird. Müdigkeit macht sich in der Regel nicht schlagartig bemerkbar, sondern baut sich über einen gewissen Zeitraum auf. Dabei lassen Reaktionsvermögen und Wahrnehmungsfähigkeit kontinuierlich so stark nach, dass Autofahrer schon in frühen Phasen der Ermüdung häufig nicht mehr richtig handeln können.
Das von Mercedes-Benz entwickelte Assistenzsystem kann Müdigkeit bereits im Ansatz erkennen und den Fahrer warnen. Es wird deshalb einen wichtigen Beitrag zur Unfallvermeidung leisten.
Individuelles Fahrerprofil auf Basis verschiedener Messgrößen
Anders als andere Verfahren zur Müdigkeitserkennung wertet das Mercedes-System eine Reihe von Indikatoren aus, um die Aufmerksamkeit von Autofahrern zu beurteilen und den gleitenden Übergang vom Wachzustand zur Ermüdung zu erkennen. Bei jeder Fahrt beobachtet der Attention Assist permanent typische Verhaltensmuster des Autolenkers und ermittelt auf diese Weise ein individuelles Fahrerprofil, das als Grundlage für die Müdigkeitserkennung dient. Bei signifikanten Abweichungen von den gespeicherten Erfahrungswerten stellt das System fest, ob Anzeichen für eine beginnende Müdigkeit vorliegen oder nicht. Ob und wann der Autofahrer gewarnt wird, hängt allerdings auch von der jeweiligen Tageszeit, der Fahrtdauer und der Fahrweise ab.
Lenkverhalten als wichtigster Indikator für Müdigkeit
Zu den von der Müdigkeitserkennung erfassten Messgrößen gehören neben der Geschwindigkeit und der Längs- und Querbeschleunigung auch die Lenkradwinkel, die Blinker- und Pedalbetätigungen sowie bestimmte Bedienhandlungen und äußere Einflüsse wie Seitenwind oder Fahrbahnunebenheiten. Als besonders aussagekräftig hat sich die Beobachtung des Lenkverhaltens erwiesen: Übermüdete Autofahrer fallen durch eine Folge typischer Lenkradbewegungen auf, die anschließend sofort wieder korrigiert werden. Das neue Mercedes-Assistenzsystem erkennt solche Anzeichen; es warnt den Autofahrer frühzeitig, wenn sich sein Lenkverhalten verändert und gleichzeitig auch andere Indikatoren auf eine beginnende Übermüdung hinweisen. In diesem Fall ertönt ein Warnsignal und ein Symbol im Kombi-Instrument weist darauf hin, Pause zu machen.
Weltweite Erprobung mit bisher über 500 000 Testkilometern
Die Entwicklung des einzigartigen Assistenzsystems begann mit einer Versuchsreihe im Berliner Fahrsimulator. Es folgten Tag- und Nachtfahrten auf Autobahnen, an denen bis heute über 420 Testpersonen teilnahmen. Sie legten bisher insgesamt mehr als 500 000 Kilometer zurück. Dauererprobungen in verschiedenen Klimazonen, im Stadtverkehr, auf Schlechtwegstrecken und bei Langstreckenfahrten runden das Testprogramm des Attention Assist ab. Zum Mercedes-Entwicklungsteam gehören neben Ingenieuren auch Kybernetiker, Mathematiker, Informatiker und Psychologen.
Ergänzung bewährter Fahrer-Assistenzsysteme
Bei der Entwicklung von Fahrer-Assistenzsystemen orientiert sich Mercedes-Benz seit jeher am realen Unfallgeschehen und entwickelt Technologien, um die Fahrsicherheit in kritischen Situationen zu verbessern. Im Fokus standen bisher die besonders folgenschweren Fahr-, Auffahr-, Nacht- und Fußgängerunfälle. Mit dem Attention Assist setzt Mercedes-Benz dieses praxisorientierte Engagement zur Unfallvermeidung fort und ergänzt bewährte Fahrer-Assistenzsysteme wie ABS, Bremsassistent, Bremsassistent PLUS, PRE-SAFE®-Bremse, Nachtsicht-Assistent und ESP®, die das Fahrzeug und sein Umfeld überwachen. Die Müdigkeitserkennung ist die erste Technologie, die auch den Autofahrer permanent beobachtet und ihn warnt, wenn anhand typischer Verhaltensmuster die Gefahr eines Unfalls erkannt wurde. Der Serieneinsatz des Systems ist für das Jahr 2009 geplant.
Bild: DaimlerChrysler