Standardprodukt oder Spezialmodell? Das Nutzfahrzeuggeschäft bewegt sich in diesem „natürlichen Spannungsverhältnis“: Aus Produktionssicht wäre ein „Einheits-Lkw“ denkbar, in der Realität herrscht hingegen eine hohe „Artenvielfalt“ vor.
Da gibt es in einem Lkw-Werk Tausende von Produktionsvarianten, Hunderte verschiedene Fahrerhausbaumuster und fast ebenso viele Farbtöne für die Lkw: „Die Produktion von Lkw hat nichts mit Brezelbacken zu tun, sondern ist maßgeschneidert auf die jeweiligen Kundenbedürfnisse und Anwendungen hin ausgerichtet“, betonte Hubertus Troska, Leiter Mercedes-Benz Trucks, auf dem von 120 Teilnehmern besuchten IAA-Symposium „Spezialisierung und Standardisierung“. Auf dieser IAA-Gemeinschaftsveranstaltung von VDA (Verband der Automobilindustrie), CVC (Commerical Vehicle Cluster) und CNS (Cluster Nutzfahrzeuge Schwaben) erläuterte Troska am Beispiel eines Betonpumpenfahrzeugs die Ursache für die Variantenvielfalt: Da werden zusätzliche Achsen montiert, der Rahmen wird verlängert und die Auspuffanlage inklusive Katalysator umgebaut. Erst über den Aufbau und den Anhänger wird der Lkw zum anwendungsorientierten „Transportsystem“. Diese Aufgabe übernehmen im Wesentlichen sehr flexible und spezialisierte Aufbauten-, Anhänger- und Sonderfahrzeughersteller.
Es sei sehr erfreulich, betonte VDA-Präsident Matthias Wissmann, dass es mit dem Symposium erstmals zu einer gemeinsamen Veranstaltung der beiden in Deutschland bestehenden Nutzfahrzeugcluster gekommen sei. Der VDA habe dies sehr unterstützt, die gute Beteiligung zeige, dass dieses Konzept richtig sei. Spezialisierung und Standardisierung bildeten eine Herausforderung für Zulieferer, Fahrzeug- und Aufbautenhersteller, die nur gemeinsam gemeistert werden könne, alle Beteiligten müssten eng zusammenarbeiten. Es gehe stets um die Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette, nicht der einzelner Wertschöpfungsstufen. Wissmann: „Das Endprodukt muss seine Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis stellen. Deswegen ist auch die Prozessoptimierung so wichtig.“ Der VDA werde die Arbeit beider Initiativen, des Commercial Vehicle Cluster und des Cluster Nutzfahrzeuge Schwaben, weiter unterstützen.
Damit die Kosteneffizienz trotz der vielen unterschiedlichen Versionen und geringen Stückzahlen gewahrt bleibt, ist eine optimale Abstimmung der Produkte und Prozesse notwendig. Das Symposium behandelte diese für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen so wichtige Frage nicht nur allgemein, sondern auch anhand praktischer Beispiele. So wies CNS-Vorstand Gottfried Mahn darauf hin, dass die Durchlaufzeit für Sonderfahrzeuge bis zu zwölf Monate betrage und künftig gesenkt werden müsse. Robert Barlage, Sales Director Automotive, IBS AG, referierte über „Prozessabsicherung durch Traceability in der gesamten Wertschöpfungskette“. Durch eine konsequente Prozessoptimierung könnten die zum Teil noch zu hohen Qualitäts-, Nachbearbeitungs- und Fehleranalysekosten in der der gesamten Wertschöpfungskette gesenkt werden.
In einer anschließenden Podiumsdiskussion, an der Robert Barlage, IBS, Norbert Kempf, Geschäftsführender Gesellschafter der Fahrzeugbau Kempf GmbH; Peter Kiesling, Geschäftsführender Gesellschafter der Kiesling Fahrzeugbau GmbH; Arndt G. Kirchhoff, Geschäftsführender Gesellschafter der Kirchhoff Automotive GmbH, sowie Alexander Tietje, Sprecher der Geschäftsführung der Kögel Fahrzeugwerke GmbH, teilnahmen, wurde das Thema „Spezialisierung und Standardisierung“ aus den unterschiedlichen Perspektiven der Fahrzeug- und Aufbautenhersteller sowie der Zulieferer erörtert. Kirchhoff unterstrich: „Es geht nicht um eine digitale Lösung – entweder Spezialisierung oder Standardisierung. Es geht vielmehr um den Königsweg, einen optimalen Mix aus beiden Positionen. Nur dann bekommt der Kunde sein maßgeschneidertes Qualitätsprodukt zu wirtschaftlichen Preisen.“ Die Podiumsdiskussion wurde von Prof. Dr. Horst Wildemann von der TU München moderiert.