Der Verwaltungsrat der SBB verabschiedete ein umfassendes Restrukturierungsprogramm für SBB Cargo. Insgesamt werden bei SBB Cargo 401 Stellen abgebaut; davon wurden bereits seit letztem Herbst 65 Stellen nicht mehr besetzt.
300 Stellen entfallen auf den Overhead. Gleichzeitig werden im Industriewerk Yverdon von SBB Personenverkehr zusätzliche 80 Arbeitsplätze aufgebaut. Der Grossunterhalt von SBB Lokomotiven wird schrittweise in Yverdon konzentriert. Der Unterhalt von Güterwagen in Bellinzona soll künftig in Partnerschaft mit Unternehmen der Privatwirtschaft ausgebaut und das Volumen deutlich erhöht werden. Verkaufs- und Auftragsbearbeitung sowie Kundeninformation werden in Basel konzentriert, das Kunden Service Center Freiburg wird aufgelöst und in die Zentrale von SBB Cargo integriert. Die SBB rechnet mittelfristig mit Ergebnisverbesserungen von jährlich über 70 Mio. Franken.
SBB Cargo steigerte im zurückliegenden Geschäftsjahr die Transportleistung um 8,3% auf 13,37 Mia. Tonnenkilometer. Gleichzeitig verzeichnete die Gütersparte der SBB 2007 trotz guter Konjunkturlage und positiven Währungseffekten einen massiven operativen Verlust von CHF -87,9 Mio. Im Vorjahr hatte SBB Cargo einen Verlust von insgesamt CHF -37,3 Mio. ausgewiesen. Im Zusammenhang mit der notwendigen Restrukturierung und Repositionierung von SBB Cargo mussten 2007 Rückstellungen von insgesamt CHF 102,5 Mio. für Personalmassnahmen, Rückbau und Sonderabschreibungen vorgenommen werden. SBB Cargo schloss das Geschäftsjahr 2007 mit einem Verlust von insgesamt CHF -190,4 Mio.
Aufgrund der sich abzeichnenden Resultatverschlechterung setzte die SBB im vergangenen Sommer eine Taskforce ein mit dem Auftrag einer umfassenden Analyse und der Erarbeitung möglicher Massnahmen zur Sanierung und Repositionierung von SBB Cargo. Erste Massnahmen (Einstellungsstopp, Investitionsstopp, Nachverhandlung von Leistungsverträgen) wurden bereits im letzten Herbst angegangen. «Die Taskforce hat eine intensive und gute Arbeit geleistet und uns eine profunde Analyse geliefert als Grundlage für die notwendigen Entscheide», sagt Verwaltungsratspräsident Thierry Lalive d’Epinay.
Massnahmen.
Der Verwaltungsrat der SBB hat an seiner Sitzung auf Antrag der Geschäftsleitung über die Situation von SBB Cargo beraten. Im Vorfeld hatten Vertreter von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung in zahlreichen Gesprächen mit Vertretern von Bund, Standortkantonen und -gemeinden die Lage erörtert. Auch die Betriebskommissionen und Gewerkschaften wurden informiert. In Abwägung der Erkenntnisse aus diesen Gesprächen verabschiedete der Verwaltungsrat die folgenden Massnahmen:
- Overhead (vor allem am Hauptsitz von SBB Cargo in Basel): Straffung der Organisationsstruktur, Vereinfachung der internen Abläufe, Prozessverbesserungen; Abbau von 300 Stellen. Davon sind 65 Stellen aufgrund des seit letzten Herbst geltenden Anstellungsstopps bereits vakant.
- Kundenservice: Konzentration von Verkaufs- und Auftragsbearbeitung sowie Kundeninformation in Basel, Integration des Kunden Service Centers KSC in die Zentrale, Synergien mit Produktion, Planung, Disposition und Verkauf; Abbau von 51 Stellen in Freiburg, Verlagerung von 114 Stellen nach Basel (die 51 Stellen sind Teil der 300 abzubauenden Overhead-Stellen).
- Instandhaltung Lokomotiven:
– Die schwere Instandhaltung der Lokomotiven für die gesamte SBB wird vom Personenverkehr geführt. Damit werden Konzernsynergien genutzt und eine bessere Auslastung der Ressourcen ermöglicht.
– Konzentration der schweren Instandhaltung für Lokomotiven in Yverdon; Abbau von 126 Stellen in Bellinzona, Versetzung von 18 Stellen nach Chiasso und von mindestens 10 Stellen nach Yverdon.
– Repositionierung des Industriewerks Biel (Verzicht auf Kesselwagen-Unterhalt); Verschiebung von 46 Stellen von Biel nach Yverdon und Olten. - Instandhaltung Güterwagen:
– Fokussierung und Ausbau der Instandhaltung von Güterwagen in Bellinzona: bessere Auslastung und Steigerung des Auftragsvolumens auf über 20 000 Güterwagen.
SBB Cargo unterzeichnete mit Ferriere Cattaneo SA, Giubiasco, und drei weiteren privaten Firmen sowie mit Josef Meyer Transport Technology AG, Rheinfelden, je einen Letter of Intent, den Standort Bellinzona für Güterwagen-Unterhaltsleistungen zu erhalten und zu stärken. Einzelheiten sollen bis im Sommer geklärt sein. Ziel ist es, so rasch als möglich, spätestens auf den 1. Januar 2009 ein konkurrenzfähiges internationales Werk aufzubauen und zu betreiben mit 200 Arbeitsplätzen. Nicolas Perrin, Leiter SBB Cargo: «Es ist uns gelungen namhafte Schweizer Partner für dieses Projekt zu gewinnen. Das ist eine Chance für den Standort Bellinzona.» - Geschäftsbereich International: Gezielte Preiserhöhungen, Reduktion der Fremdleistungen/Einsparungen beim Einkauf, vereinfachtes Traktionskonzept, bessere Auslastung der internationalen Plattformzüge, operative Zusammenarbeit mit Partnern/Partnerbahnen.
- Geschäftsbereich Schweiz: Gezielte Preiserhöhungen, Erschliessung zusätzlichen Marktpotentials und Import-/Export-Volumens insbesondere durch bessere Nutzung des Anschlussgleissystems in Zusammenarbeit mit den Kunden, Produktionsoptimierung durch verbesserte Trassennutzung und langfristige Planung. Das bestehende Wagenladungsverkehrsnetz ist von diesen Massnahmen nicht betroffen.
- Weitere Massnahmen: Bessere Auslastung des Wagenparks, Optimierung des Leistungseinkaufs, Einsparungen bei den Einkaufskosten der Traktionsenergie, Einsparungen bei der Wagen-Anmiete, Reduktion der Sachkosten.
Der Verwaltungsrat erwartet von der Umsetzung dieser Massnahmen mittelfristig nachhaltige Ergebnisverbesserungen von jährlich über 70 Millionen Franken. Eine umfassende Sanierung von SBB Cargo wird nach Einschätzung des Verwaltungsrates mindestens zwei Jahre dauern. Die Massnahmen sollen ab 2009 wirksam werden. Der Stellenabbau erfolgt gestaffelt in mehreren Schritten. Die Kosten für die Restrukturierungen belasten das Ergebnis 2007 und 2008. Im laufenden Jahr werden zudem die Bundesbeiträge für den Wagenladungsverkehr wie geplant um CHF 17 Mio. auf Null reduziert. SBB CEO Andreas Meyer: «Das Massnahmenpaket ist für die SBB von zentraler Bedeutung. Am stärksten betroffen ist der Overhead. Für unsere Kunden dürfen diese Massnahmen keine negativen Auswirkungen haben.»
Keine Entlassungen im GAV-Bereich.
Verwaltungsrat und Geschäftsleitung der SBB sind sich bewusst, dass die beschlossenen Massnahmen mit einschneidenden Folgen verbunden sind für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie bedauern, dass die bestehende Situation keine andere Lösung ermöglichte und sichern den Betroffenen zu, den Personalabbau sozialverträglich zu gestalten.
Der GAV der SBB sieht vor, dass GAV-Angestellte, die von Umstrukturierungsmassnahmen betroffen sind, nicht entlassen werden. Die SBB unterstützt sie unter anderem mit dem Programm Neuorientierung und Arbeit NOA bei der beruflichen Neuorientierung vor und nach dem Stellenverlust. Ab dem Zeitpunkt des Stellenverlustes treten die Betroffenen zum gleichen Lohn in das Projekt NOA über, wo ihnen die SBB Hand bietet beim Erwerb zusätzlicher Qualifikationen sowie bei der Stellensuche auf dem internen und externen Arbeitsmarkt. Ziel ist es, dass die Betroffenen möglichst schnell und spätestens innert zwei Jahren eine neue Stelle finden. Andreas Meyer: «Die SBB steht zu ihrer Verantwortung.»
Geschichte.
Die Liberalisierung im europäischen Schienengüterverkehr eröffnete den Güterbahnen Wachstumschancen und führte für die Kunden zu erheblich mehr Qualität der Dienstleistungen. In der Schweiz erfolgte der «open access» frühzeitig und uneingeschränkt.
Im europäischen Vergleich ist der Heimmarkt von SBB Cargo klein und wenig attraktiv. Mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von ca. 200 km und einer Ost-West- Ausdehnung von ca. 250 km kann die Schiene gegenüber der Strasse die Stärken der Bahn auf langen Distanzen nur sehr beschränkt ausspielen. Um diese Stärken besser zu nutzen und die sich infolge der frühen Öffnung des Schienengüterverkehrsmarktes abzeichnenden Marktanteilsverluste auf dem Heimmarkt zu kompensieren, entschied sich die SBB zu einem Markteintritt in Deutschland und Italien. Thierry Lalive d’Epinay: «Durch die frühe Marktöffnung in der Schweiz sah sich die SBB auf ihrem Heimmarkt früher als Mitbewerber im Ausland mit Marktanteilsverlusten konfrontiert. Diese Verluste kompensierten wir in Deutschland und Italien.»
Damit positionierte sich SBB Cargo auf der europäischen Nord-Süd-Achse früh als grenzüberschreitender Qualitätsanbieter («alles aus einer Hand») im Wettbewerb mit anderen Bahnen. Mit dieser Strategie konnte SBB Cargo im internationalen Geschäft die transportierte Menge und den Umsatz jedes Jahr markant steigern.
Der Markteintritt in Deutschland und Italien war mit hohen Investitions- und Aufbaukosten verbunden. Der intensive Wettbewerb auf der Nord-Süd-Achse führte zu einem hohen Druck auf die Preise. SBB Cargo erreichte die für die erbrachten Leistungen nötigen Preise nicht.
Der Wegfall von lukrativen Transitverkehren auf der ehemaligen Monopolstrecke durch die Schweiz erfolgte schneller als erwartet und führte in der Folge zu Kostenblöcken, die nicht rasch genug reduziert werden konnten.
Feststellungen.
In keinem anderen Land Westeuropas verlor der «Incumbent» im Heimmarkt so rasch so viele Marktanteile wie die SBB auf der begehrten Nord-Süd-Achse am Gotthard.
Die im Binnenverkehr auf den kurzen Transportdistanzen des Schweizer Netzes erwirtschafteten Erträge allein erlauben es SBB Cargo nicht, den notwendigen Aufbau im Ausland zu finanzieren.
Im Binnenverkehr realisierte SBB Cargo seit 2002 mehrere Programme zur Produktivitätssteigerung. Damit konnte der Abbau der Bundesbeiträge für den Wagenladungsverkehr teilweise kompensiert werden. Das Bediennetz der SBB mit 323 Bedienpunkten und 200 Kundenlösungen wird aufrecht erhalten. Die Investitionen von Anschlussgleisbesitzern, die langfristig auf die Bahn setzen, sollen sich lohnen.
Die mittel- und langfristigen Ersatzinvestitionen für Anschlussgeleise und veraltetes Rollmaterial können aus dem laufenden Betrieb nicht finanziert werden. Auch im Binnenverkehr sind daher weitere Massnahmen zur Ergebnisverbesserung notwendig. Zur verbesserten Kundenorientierung setzte die SBB ein Kundenboard ein mit entsprechend positiver Wirkung. «Als eine der ersten Massnahmen haben wir bereits im letzten Sommer das Gespräch gesucht insbesondere mit unseren Schweizer Kunden. Der regelmässige Austausch hilft, das Geschäft weiter zu entwickeln», sagt Andreas Meyer.
In den Industriewerken der SBB bestehen Überkapazitäten. SBB Cargo erreicht mit eigener Instandhaltung keine wettbewerbsfähigen Preise für das eigene Rollmaterial. Für die Wartung der Fahrzeugflotte von SBB Cargo werden künftig verstärkt die Unterhaltskapazitäten des Personenverkehrs genutzt, um zusätzliche Synergien zu erzielen.
Die Systeme zur Steuerung des Geschäfts und zur verursachergerechten innerbetrieblichen Zuordnung der Kosten und Erträge konnten mit den verschiedenen Restrukturierungsmassnahmen und der neuen strategischen Ausrichtung nicht Schritt halten und sind daher ungenügend. Die entsprechenden eingeleiteten Massnahmen sind komplex und werden im Verlauf der nächsten anderthalb bis zwei Jahre schrittweise umgesetzt.
Strategie.
Die Strategie von SBB Cargo wird weiter überprüft und weiterentwickelt. Der Schweizer Markt ist für die SBB von zentraler Bedeutung. Die SBB ist auf diesem Markt überaus stark verankert. Diese Chance will die SBB weiter nutzen. Im internationalen Verkehr hat sich die grenzüberschreitende Produktion aus einer Hand von SBB Cargo auf der Nord-Süd-Achse bewährt und soll weiter entwickelt werden. Im zunehmend sich konsolidierenden europäischen Schienengüterverkehrsmarkt ist SBB Cargo auf die Zusammenarbeit mit Partnern oder Gruppierungen mehrerer Partnerbahnen angewiesen, um langfristig im Markt zu bestehen. Für die europäischen Güterbahnen ist es notwendig und sinnvoll, in Zukunft eng zusammenzuarbeiten, um die Position der Bahnen im intermodalen Wettbewerb zu stärken. Derzeit prüft die SBB mehrere Kooperationsfelder.
SBB Cargo ist eine attraktive Kooperationspartnerin. Die verschiedenen Angebote werden danach beurteilt, ob sie einen nachhaltigen Beitrag zur strategischen Positionierung leisten, ob Geschäftsrisiken in nennenswertem Umfang mitgetragen werden und ob Beiträge zur Optimierung des Geschäftsergebnisses geleistet werden. Ein Totalverkauf kommt nicht in Frage.
Der Konzern steht zu SBB Cargo. Der Eisenbahngüterverkehr ist für die Schweiz von grosser Bedeutung. Die Rahmenbedingungen für diesen Verkehr will die SBB zusammen mit dem Bundesamt für Verkehr im Rahmen des schweizerischen Gesamtverkehrssystems unter anderem mit der Weiterentwicklung des Trassenpreissystems verbessern.
Eignerauftrag.
SBB Cargo hat den Auftrag, in der Schweiz im Rahmen der Eigenwirtschaftlichkeit ein flächendeckendes Netz zu betreiben und im Transit ein qualitativ gutes Produkt anzubieten und so massgeblich beizutragen zur Verkehrsverlagerung. Die vom Verwaltungsrat beschlossenen und geplanten Massnahmen dienen diesem Auftrag.