Betroffener verlangt vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vom Freistaat Bayern weitgehende Maßnahmen gegen hohe Feinstaubbelastung – Deutsche Umwelthilfe unterstützt den Kläger – Entscheidung am Freitag, 25. Juli – DUH erwartet Urteil mit europaweiten Konsequenzen
Die Chancen wachsen, dass Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union in mit lebensbedrohendem Feinstaub hoch belasteten Wohnquartieren konkrete Gegenmaßnahmen vor Gericht durchsetzen können. Der EuGH wird darüber am kommenden Freitag, 25. Juli 2008, 09.30 Uhr entscheiden und das Urteil anschließend auf der Internetseite des Gerichtshofs (http://curia.europa.eu/de/actu/activites/index.htm) veröffentlichen.
Gegenstand des Verfahrens ist die von der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) unterstützte Klage eines Münchener Bürgers, der vom Freistaat Bayern die unverzügliche Aufstellung eines Aktionsplans verlangt. Die DUH hatte seit Anfang 2005 angesichts ständiger Überschreitungen der Feinstaub-Grenzwerte in vielen Ballungszentren die Einführung von Umweltzonen gefordert und entsprechende Betroffenen-Klagen forciert. Die nachfolgende Feinstaubdiskussion führte schließlich nach jahrelanger Blockade durch die deutschen Autohersteller zum annähernd flächendeckenden Einbau von Partikelfiltern in Diesel-Neuwagen.
Der Münchner Kläger will erreichen, dass die Bayerische Staatsregierung mit dem Aktionsplan schnell wirksame Maßnahmen zur Einhaltung der Feinstaub-Grenzwerte in der Landshuter Allee festlegt, wo der Kläger lebt. Das Bundesverwaltungsgericht hatte am 29. März 2007 entschieden, dass das deutsche Recht einen solchen Anspruch nicht kenne. Vielmehr müsse der Bürger nach hiesigem Recht konkrete Beschränkungen, etwa des Straßenverkehrs, einklagen (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.09.2007). Dies führt zu der absonderlichen Konsequenz, dass von Feinstaub belastete Bürger gegen jeden Straßenzug und jede Industrieanlage einzeln vorgehen müssten, um entsprechende Nutzungsbeschränkungen vor Gericht durchsetzen zu können. In einer Stadt wie München hieße dies, als Bürger hunderte Verfahren zu führen, um eine Einhaltung des Grenzwerts zu erreichen. Auch eine Umweltzone, die aktuell umfassendste Maßnahme zur Reduzierung der Feinstaubbelastung, könnten Bürgerinnen und Bürger nicht vor Gericht einklagen.
Die absurde Situation veranlasste das Bundesverwaltungsgericht, den EuGH in einem so genannten „Vorabentscheidungsverfahren“ zu fragen, ob Betroffene einen unmittelbaren Anspruch auf Aufstellung eines Aktionsplans nicht aus dem EU-Recht herleiten könnten. Die Bundesrichter legten daher dem EuGH verschiedene Fragen zur Entscheidung vor. Danach hat der EuGH (C-237/07) zu entscheiden, ob der Bürger einen Anspruch auf Aufstellung eines umfassenden Plans zur Feinstaubbekämpfung hat und welchen konkreten Inhalt ein solcher Plan haben muss. Die Vorteile eines solchen Anspruchs sind gewaltig: Bürger hoch belasteter Quartiere müssten nur noch eine einzige Klage erheben, um die Feinstaubbelastung in einer ganzen Stadt zu senken. Überdies könnten sie dadurch unmittelbar eine Umweltzone einklagen. Klagebefugt wären auch nicht nur Bürger, die unmittelbar neben einer Messstelle wohnen (wie bisher), sondern alle Bürger der Stadt. Der EuGH wird auch klären, wie schnell die Maßnahmen zu ergreifen sind, die gegen die Feinstaubbelastung ergriffen werden müssen.
„Nach mehr als drei Jahren gerichtlicher Auseinandersetzungen sind wir guter Hoffnung, dass die Feinstaub-Betroffenen endlich ein effektives und kraftvolles Recht auf saubere Luft gegen Stadtväter und Landespolitiker durchsetzen können, die sich ihrer vornehmsten Pflicht, die Bürgerinnen und Bürger vor schweren Gesundheitsgefahren zu schützen, immer noch beharrlich zu entziehen versuchen“, sagte DUH Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Sollte der EuGH ein bürgerfreundliches Urteil fällen, rechnet Resch mit harten und umgehenden Fahrverboten in allen von zu hohen Feinstaubbelastungen betroffenen Ballungsgebieten. „In Städten mit Umweltzonen, die die Grenzwerte für Feinstaub trotzdem noch überschreiten, wird man über umgehende Verschärfungen der Regelungen entscheiden müssen, zum Beispiel könnten dort kurzfristig nur noch Fahrzeuge mit grüner Plakette zugelassen werden“, so Resch.
Der Münchner Kläger wehrt sich seit drei Jahren gegen die massive Überschreitung der EU-weit gültigen Feinstaubgrenzwerte in seiner Wohnstraße. Die Musterklage wird von der DUH unterstützt. Die Landshuter Allee zählt nach den Veröffentlichungen des Umweltbundesamtes zu den bundesweit am stärksten belasteten Straßen. Feinstaub gilt als das derzeit schwerwiegendste Luftreinhalteproblem in Deutschland und geht entlang der Hauptverkehrsadern vor allem auf die Emissionen von Pkw- und Lkw-Dieselmotoren zurück. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass in Deutschland insgesamt jährlich 75.000 Menschen vorzeitig und im Durchschnitt zehn Jahre zu früh an der Feinstaubbelastung sterben.
Dr. Remo Klinger, DUH-Anwalt aus der Berliner Kanzlei Geulen & Klinger und Vertreter des Münchner Klägers in dem Verfahren: „Wenn wir gewinnen, werden Bürgerinnen und Bürger europaweit ihr Recht auf saubere Luft einklagen können. Umweltzonen mit Ausnahmeregeln für alles und jeden werden dann in vielen deutschen Städten nicht mehr genügen.“